Ich hab einfach keinen Bock auf Sex, obwohl ich Lust verspüre.
- Katharina P.
- 21. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Sex ist etwas wunderbares, die Sinnlichkeit, die Nähe, das Ausleben der Lust. Aber Sex kann auch einen unfassbaren Druck ausüben, so viel, dass allein schon der Gedanke an Sex ein Unbehagen auslösen kann. Da wieder alleine rauszukommen kann überwältigend wirken, denn wo fängt man überhaupt an? Dieser Frage steht Lea tagtäglich gegenüber.
Lea ist Sexcoach und unterstützt Menschen die Orgasmus und Libido Probleme haben, besonders auf Menschen mit Vulven fokussiert sie sich. Aber sie berichtet auch, dass immer mehr Paare vor ihrer Tür stehen und davon berichten, dass ihnen die Lust abhanden gekommen sei. “Also ganz oft ist es so in Langzeitbeziehungen, dass sich der Sex verändert hat oder weniger geworden ist oder es gibt wirklich so die Thematik, dass ein Paar, Partner oder Partnerin einfach gar keine Lust mehr empfindet” und gemeinsam diese Barriere aufzulösen, das ist Leas Berufung.
Sexuelle Unlust taucht früher oder später wahrscheinlich in unser aller Leben einmal auf. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Ein Job Wechsel, finanzielle Instabilität, Unsicherheiten über den sich verändernden Körper, eine unangenehme sexuelle Erfahrung, eine Identitätskrise - unsere Sexualität ist fluide und leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie ist ein großes Puzzleteil unserer Gesundheit und Wohlbefinden. Lea appelliert daher, dass man auf sich hören sollte, wenn sich der Körper bemerkbar macht.
“Oft ist es ja so, dass selbst wenn wir da keine Lust mehr haben, haben wir trotzdem Sex. Das passiert ganz ganz oft, gerade wenn man in einer festen Partnerschaft ist. Und das hat dann noch oft einen extra negativen Effekt, weil wir oder unser Körper ja lernt, wenn Sexualität nicht so was Positives wird, nämlich dieser wunderbare Cocktail, den wir dann normalerweise ausgeschüttet bekommen an Hormonen und sämtlichen Glücksgefühlen und Boost für unser Immunsystem und all diese Dinge. Dann lernt der Körper, es führt zu etwas Negativem. Natürlich hat er dann keine Lust mehr, das heißt, je öfter wir Sex haben, den wir eigentlich nicht wollen, desto mehr ist das ein Downer für unsere Libido.”
Wenn die Leidenschaft verloren gegangen ist und der partnerschaftliche Sex Druck ausübt, empfiehlt Lea gerne sich Intimität als Aufgabe in den Kalender einzutragen. Ein Konzept was widersprüchlich zu dem spontanen und wilden Sex steht, der uns in sämtlichen Filmen, Serien, Pornos und Musikvideos vorgelebt wird. Ein Bild was sich zwar gut verkaufen lässt, aber nicht weiter von der Realität entfernt sein könnte. Wer hat gerne leidenschaftlichen Sex unter der Dusche? Cut it. Auch wenn es unsexy wirkt, sich Intimität als “Termin” in den Kalender einzutragen, schlägt Lea vor sich so bewusst die Zeit zu nehmen. “Was ich zum Beispiel total gerne vorschlage, ist, dass man Berührungen wieder mit in die Beziehung reinlässt, ohne dass sie automatisch sexuell sind. Sensade Focus wäre jetzt so ne klassische Übung wo man im Prinzip zu Berührung anleitet, also mit expliziter Vereinbarung, dass kein Sex stattfinden wird.” Das kann helfen wieder Intimität in die Partnerschaft zu bringen und sowohl sich selber, als auch die andere Person in ihren Bedürfnissen besser kennen zu lernen.
Die eigenen Bedürfnisse zu verbalisieren kann schon schwierig genug sein, insbesondere weil das voraussetzt, dass man sie kennt. Wie findet man heraus was einem gefällt, wenn wir in unserer sexualisierten Gesellschaft ständig ein Bild von einer idealisierten Sexualität vorgelebt bekommen?
“Die Sexualität von Menschen die weiblich gelesen werden, ist einfach unglaublich politisch und wird immer wieder politisiert und das muss man sich schon immer bewusst machen, dass man sich da selber auch zurückbesinnt auf das was man erleben möchte”.
Um sich erstmal frei von äußerlichen Einflüssen zu machen und die eigenen Bedürfnisse kennen zu lernen kann man anfangen die eigenen Bedürfnisse außerhalb von Sexualität kennen zu lernen und sich selbst zu erfüllen. Das kann ein Sport sein, den man schon immer mal ausprobieren wollte, sich selbst in ein Restaurant auszuführen, oder sogar einen Solo-Urlaub zu machen. Zu lernen auf die innere Stimme zu hören, dieser nachzugehen und dadurch zu lernen die eigenen Bedürfnisse im Leben zu befriedigen. Dann wird es leichter auch sexuelle Fantasien zu verstehen und umzusetzen. Nicht jede Fantasie ist unsere eigene und nicht jede Fantasie muss in die Realität umgesetzt werden. “Ich bin der festen Ansicht, dass in Fantasien erstmal alles erlaubt ist. Dass Fantasien sehr gut sein können, für unsere Sexualität und dass wirklich so ne Art Moral und Ethik erst bei Handeln angelegt wird.”
Manche Fantasien stehen vermeintlich im Gegensatz zum eigenen ethischen Kompass. Gerade in unserer patriarchalen Gesellschaft, in der weiblich gelesene Personen ständig ohne Konsens sexualisiert werden, kann eine innere Disonanz entstehen. Lea betont:
“du darfst eine Feministin sein und total gegen Gewalt an Frauen sein, aber du darfst gleichzeitig dir auch wünschen, in der Sexualität härter angefasst zu werden”.
Sexualität ist so vielfältig und in so vielen Bereichen unseres Lebens verankert, dass es überwältigend sein kann, die eigene kennen zu lernen und auszuleben. Und das ist okay. Nehmt euch den Druck, den perfekten Sex haben zu müssen, einem Bild entsprechen zu müssen. Erlaubt euch einen Perspektivwechsel, die Distanz zu nehmen, um sich selber besser kennen zu lernen. Denn wie mit allem im Leben fängt es mit euch an und hört mit euch auf - genießt euch, wie auch immer das aussehen mag.
Wenn du den ganzen Podcast mit Lea hören möchtest, dann gelangst du HIER zur Folge.
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